Körperliche und mentale Selbsterforschung. Carolin Hartmann

Ich bin Carolin Hartmann, Tänzerin mit einer chronischen Nervenerkrankung. Dank meiner DIS-TANZ-SOLO-Förderung durfte ich meine Forschungsergebnisse und Reflektionen bzgl. der Körper-Geist-Beziehung ausformulieren und auf meiner Website veröffentlichen (www.carolinhartmann.de). Auch durfte ich meine Erfahrungen um neue Methoden und Forschungsergebnisse ergänzen, die mich und meine Arbeit als Tänzerin charakterisieren. Es ist die Poesie zwischen Körper und Geist, die mich fasziniert. In meiner künstlerischen Forschung versuche ich die Kommunikation zwischen Körper und Geist transparenter zu machen.

Bordering nenne ich meine selbst entdeckte Methode, wie ich zunächst die Grenzen meines Körpers erfahre, um sie dann im zweiten Schritt mit Konzentration und voller Hingabe immer wieder ein kleines Stück erweitern zu können.Mit dieser Methode konnte ich zunächst die Grenzen meines Körpers erfahren, um sie dann im zweiten Schritt durch gesteigerte Bewusstheit ein kleines Stück erweitern zu können.

Foto: Carolin Hartmann

Dabei streckte ich beispielsweise meinen linken Arm soweit zur linken Seite aus, dass meine Fingerspitzen einen imaginären Punkt erreichten. Dies war nun die erste scheinbare Grenze, die es im zweiten Schritt zu erweitern galt.

Jetzt konnte beispielsweise die ganze Schulter der Bewegung folgen, so dass sich der ganze Oberkörper nach links verschob, was die Hüfte zum Ausgleich zwang. So entstand eine ganze Kette, die das volle Potenzial des Körpers erst entfaltete. Die geistige Arbeit dabei war, diese Kette mit Bewusstheit zu verfolgen.

Wo gab es eine Blockade, die das Ziel der Grenzerweiterung nicht mitverfolgte und stattdessen diesen bewussten Entschluss still und heimlich boykottierte? Welcher Teil meines Körpers leistete Widerstand und zerriss sich nicht sein letztes Hemd für meine Ideen, Ziele und Träume? Bei dieser Arbeit stellte ich fest, dass der untere Rücken bei der Bewegung nicht mitmachte und so eine Optimierung der Bewegung sowie eine klitzekleine Grenzerweiterung nicht erlaubte. Mein erster Gedanke war, dass ich das wegen meiner Behinderung nicht konnte. Doch dann musste ich selbst über meine Diagnose lachen, die so oberflächlich war. Mein Geist stempelte jede körperliche Opposition als „behindert“, „defekt“ ab. Echte Beziehungsarbeit war nur dann möglich, wenn jede Meinung Raum hatte und nicht ungehört blieb.

Foto: Carolin Hartmann

So versuchte ich herauszufinden, was den unteren Rücken die Bewegung blockieren ließ. Was steckte hinter der Todesstarre, die jede freie Aufrichtung der Wirbelsäule und jede Beweglichkeit der Hüfte verhinderte? Mit der Zeit fand ich heraus, dass der Wirbel auf dieser Höhe der Wirbelsäule, der den Energiefluss quasi abtötete, an der Rückenlehne des Rollstuhls „klebte“ und so den Unterkörper von der Bewegung abtrennte. Indem ich mich nach vorne zog, löste sich der Wirbel von der Rückenlehne. Meine aufgerichtete Hüfte musste nun das Gewicht tragen und ausbalancieren. Ich drohte bei dem Versuch, meine stabile Mitte zu finden, vom Rolli zu fallen. Mit erhöhtem Herzschlag legte ich die Hüfte wieder zurück und lehnte den Wirbel erneut gegen die Rückenlehne. In diesem Zustand konnte ich mich nun wieder beruhigen. Nun verstand ich diesen Wirbel und seine Motivation. Mein Gehirn hatte anscheinend in früheren Jahren die Erfahrung gemacht, dass eine durchgehende Aufrichtung der Wirbelsäule zu einem Sturz führte und wollte dies daher durch eine Blockade vermeiden. Die Todesstarre wollte mich also nur davor bewahren, hinzufallen und war dazu bestimmt, meiner Sicherheit zu dienen.

Direkt suchte ich mir einen Schal, mit dem ich meine Hüfte mit der Rückenlehne verknotete. Damit konnte ich einen Sturz vom Rollstuhl ausschließen. Erstaunlicherweise konnte ich nun beobachten, wie der untere Rücken mehr Beweglichkeit zuließ. Die nun entstandene Sicherheit veranlasste den Wirbel die Blockade aufzulösen, sich von der Rückenlehne vorsichtig zu lösen und eine durchgehende Aufrichtung zuzulassen.

Nun konnte ich durch eine ausgleichende Hüftbewegung mit meinem linken Arm noch weiter zur Seite reichen, so dass meine Fingerspitzen nun die anfängliche Grenze mit Leichtigkeit erweitern konnten.

Bei dieser Arbeit stellte ich fest, dass wirklich alles einen Sinn hatte und der schulmedizinische Stempel, der von „behindert“und „defekt“ sprach, den Geist zu falschen Schlüssen führte. Mein Körper hatte die gleichen Ziele wie mein Geist. Für ihn standen auch Überleben und Sicherheit an erster Stelle. Lediglich waren beide anders programmiert, was intern zu Missverständnissen führte. Diese Programme meines Körpers wollte ich mit Bewusstheit fluten, um meine Körpersprache zu decodieren und ihren Sinn zu verstehen.


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