L’Aube – Die Morgendämmerung. Tchekpo Dan Agbetou

Trotz herber Rückschläge durch die Corona-Pandemie konnte ich bis November 2021 dank eines DIS-Tanz-Solo Stipendiums ein komplexes Tanzstück für einen Solotänzer, Sopran und Orchester mit dem Titel „L’Aube“ (französisch: „Die Morgendämmerung“) recherchierend vorbereiten. Ermutigt von der vielversprechenden Resonanz auf mein Vorhaben, plane ich nun das Stück in Zusammenarbeit mit einem Kammerorchester, einer Sopranistin, einer bildenden Künstlerin und Dramaturgin Ende 2022 zur Aufführung zu bringen. Das Stück soll auf Bühnen und online als künstlerischer Tanz-Film gezeigt werden.

Foto: Tchekpo Dan Agbetou

L‘ Aube basiert auf der 3. Sinfonie, op. 36, des polnischen Komponisten Henryk Mikołaj Górecki (1933–2010). Góreckis Sinfonie spricht in ihrer meditativen Einfachheit tiefe Schichten der menschlichen Seele an. Sie verlangt vom Orchester keine besondere Virtuosität, aber eine spirituelle Energie und die Fähigkeit, über lange Zeiträume den Bogen zu spannen. Ich habe inzwischen auf eigene Kosten einen Komponisten und Dirigenten gebeten, die Sinfonie für eine Kammerorchester-Besetzung mit 35 Musiker*innen zu arrangieren, was aufgrund der einfachen, minimalistischen Struktur gut umzusetzen wäre. Dazu brauche ich jedoch die Einwilligung der Gorecki Erben, die ich zurzeit zu kontaktieren versuche. Ich habe ebenfalls Kontakt mit einer renommierten, aus Afrika gebürtigen Opernsängerin aufgenommen, deren charismatische, weiche und „dunkle“ Stimme für die Interpretation der Klagelieder sehr geeignet wäre. Beide, Dirigent und Opernsängerin (sie ist auch ausgebildete Tänzerin), haben auf mein Vorhaben begeistert reagiert und wären, sollte das Stück realisiert werden, zu einer Kooperation bereit.

In den letzten drei Monaten habe ich zudem mit einer bildendenden Künstlerin und Dramaturgin, die ich ebenfalls privat honoriert habe, eine minimalistische Szenografie entwickelt. Sie besteht aus von der Decke herabhängenden, „bekleideten“ und geisterhaft wirkenden, kahlen Zweigen, sowie einem großen, graublauen Tuch, welches den gesamten Bühnenboden bedeckt. Aus der Mitte dieses Tuchs soll sich der Tänzer langsam und sich steigernd bis zum Einsetzen der Singstimme in einem stetigen Fluss heraus kämpfen und wie die Morgensonne aus einem dunklen Horizont erheben. Er soll alles Schwere unter sich lassen, damit die Betrachter das graue Tuch als eine frei „atmende“, weite Landschaft erleben.

Górecki’s 3. Sinfonie bezieht sich auf die christliche Passion, auf Momente des Leidens und die Erlösung durch die Liebe. Er hat drei Klagelieder eingearbeitet, eine Marienklage aus dem 15. Jahrhundert, die Inschrift einer jungen, polnischen Gefangenen, die 1944 in größter Not ein Gebet an die Wand der Gestapo Folterkammer in Katownia Podhala in Polen eingekratzt hat, sowie ein Volkslied aus dem 19. Jahrhundert, dessen Text auf die Aufstände in Oberschlesien von 1919 bis 1921 zurück geht. Besonders der 2. und 3. Satz der Sinfonie lässt sich mit dem Gedenken an die verheerende Zeit des ersten und zweiten Weltkriegs in Verbindung bringen.

Górecki wird in Polen aufgrund seines Widerstands gegen das damalige kommunistische Regime bis heute als Freiheitskämpfer verehrt. Trotz interner Schwierigkeiten, wurde er aus politischen Gründen aus der Musikakademie in Kattowitz herausgedrängt. Doch trotzdem konnte er die zeitgenössische E-Musik durch seinen gefühlvollen, minimalistischen Lyrismus revolutionieren.

Um das Stück inhaltlich zu vertiefen, plane ich eine Reise nach Polen zum ehemaligen Folterkeller der Nazis in Katownia Podhala, sowie an Góreckis letzte Arbeitsstätte und sein Grab in Kattowitz.


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