Teilhabe im und durch den Tanz als künstlerische und kuratorische Praxis. Tanzinitiative Hamburg
Über 25 Jahre lang hat die Tanzinitiative Hamburg das Tanzgeschehen in Hamburg und über die Grenzen der Stadt hinaus mit gestaltet. Von ihrer Gründung 1993 bis etwa 2015. Als Gründungsmitglied und künstlerische Ko-Leiterin habe ich unter meiner Federführung ein umfangreiches Archiv aufgebaut, das ich bis heute in künstlerischer Recherche kontinuierlich weiter entwickle. Somit blicke ich weniger in die Vergangenheit, als dass ich Impulse für einen weiterführenden Diskurs im zeitgenössischen Tanz setzen möchte. Meine Dis-Tanz-Solo Förderung zielt auf die Struktur für eine Buchpublikation, welche die Projekte der Tanzinitiative Hamburg (www.tanzinitiative.de; siehe Titel unten), die von Werkstätten und Salons über Bühnenproduktionen und Community-Projekte bis hin zu spektakulären Outdoor-Installationen im Stadtraum reichen, in Text und Fotografie im Fokus von Ethik und Ästhetik und von der Bedeutung des Lokalen beleuchten und neu verorten.
Das Gerüst und gleichzeitig das Herz bilden ausführliche Interviews, die ich mit den wichtigsten Kollaborateur*innen der Tanzinitiative Hamburg geführt habe. Gespräche auf der Höhe des Diskurses in den performativen Künsten heute, ausgehend von den Projekten, die sie begleitet oder mit der Tanzinitiative Hamburg realisiert haben.
Beispielsweise spreche ich mit der Berliner Choreografin Isabelle Schad (Tüddeldüddel-Lüd; Hinter den Gärten) und dem Londoner Choreografen Thomas Kampe (Urbane Rituale) über den Community-Begriff, mit der Hamburger Dokumentarfilmerin Dorothea Grießbach über die Kamerafrau als Performerin und über Gefahren in kolonialistische „Teilhabe“ zu verfallen , mit der Tanzprofessorin Dr. Katja Schneider über Partizipation und Gastfreundschaft (Gimme Shelter). Mit dem Wiener Choreografen Chris Haring spreche ich über Interdisziplinarität und Minimalismus (Cyborg Moves – Zukunft von Bewegung). Klaus Neumann, Architekt und Landschaftsplaner (Urbane Rituale; Glamour; Magic Light; More! More! More!; The Best. The Worst. My Everything!), über Bühnen im Theater und den urbanen Raum als Bühne. Mit der Choreografin Angela Guerreiro (Manufacturing Dance; Glamour) und der Journalistin Gabriele Wittmann verbindet die Tanzinitiative Hamburg einen langen gemeinsamen Weg. Mit ihnen gehe ich in den Austausch über Teilhabe und die Beobachtung darüber, was eine Tanzszene ausmacht und wie sie sich gewandelt hat.
Als Teaser hier ein Ausschnitt aus dem Interview mit Isabelle Schad
Isabelle Schad (IS) im skype-Gespräch Hamburg – Berlin am 1. 2. 2021 mit Irmela Kästner (IK) zu: Tanzinitiative Hamburg – Teilhabe im und durch den Tanz als künstlerische und kuratorische Praxis. Ein DIS-TANZ-SOLO-Projekt von Irmela Kästner
IK: Was machst du gerade? Wie kommst du durch die Corona Zeit?
IS: Wir sind auch schwer aktiv mit einem Living Archive für unsere Webseite.
IK: Jetzt mal zu den Projekten, die wir, Tanzinitiative Hamburg, mit dir realisiert haben: Tüddeldüddel-Lüd 2009 und Hinter den Gärten 2013. Auf unserer Webseite sind sie unter Community gelistet. Ich würde gern wissen, ob du sie auch so einordnen würdest, wie du sie siehst, und was du überhaupt unter Community verstehst?
IS: Es kann schon sein, dass wir nicht dasselbe darunter verstehen: Community bei euch im Kiez und in Hamburg, da habt ihr ja schon ein Netz. Ich komme aus Berlin als Fremde dazu. Und bei Tüddeldüddel-Lüd haben wir die Teilnehmer*innen nicht mal ausgewählt sondern alle, die wollten, konnten mitmachen. (…) Bei Hinter den Gärten haben wir ja ein Auswahlverfahren gemacht. Und ich habe Wert darauf gelegt, dass einige wiederkehren von Tüddel, damit es Kontinuitäten gibt. Das ist mir total wichtig, dass man ein Stück Weg zusammen zurücklegt. Und nicht nur mit euch beiden sondern mit denjenigen, die zusammen arbeiten, zusammen trainieren, sich anfassen. Für mich ist das Wort Gemeinschaft immer sehr wichtig gewesen. (…) Dass man etwas zusammen macht, das eine Spur hinterlässt, das Sinn macht, das jedem etwas gibt, wo man zusammen ein Stück weiterkommt und auf eine Essenz zugeht. Eine Qualität von Miteinander zu entwickeln, Lebensqualität, zusammen in der Welt zu stehen und eine Haltung einzunehmen. Im besten Fall entspricht die menschliche Haltung einer politischen Haltung und einem Bewusstsein füreinander. Ob das dann eine Community wird? Es wird auf jeden Fall ein Netz. Ich glaube, ich selbst benutze den Begriff Community nicht. Es ist aber egal wie man es bezeichnen möchte. Für mich ist das Erlebnis wichtig, die gemeinsame Erfahrung.
IK: Wenn du das so erklärst, dann zeichnet sich Community für dich eher über einen Entwicklungsprozess aus. Sie entsteht erst durch die gemeinsame Erfahrung. Wir hatten ja ein anderes großes Community Projekt, Urbane Rituale im St. Pauli Stadion, zu dem wir bereits bestehende Communities eingeladen haben. Diese haben wir zusammengeführt und angeknüpft an das, was sie mitbringen. So werden Community-Projekte meist auch verstanden: dass man dort anknüpft, wo die Leute gerade sind. Man begibt sich in eine bestehende Community. Dagegen haben wir bei deinen Projekten die Leute zusammengeholt – es gab eine offene Ausschreibung – und geschaut, in wieweit gehen sie zusammen einen Weg, der auf eine Sache hinzielt. Ich denke, bei dir ist es ein Prozess, der sehr viel mehr in die Tiefe geht als in die Breite. Oder?
IS: Ich hatte es als Einladung verstanden, etwas zu teilen von dem Fundament, das bei mir gewachsen ist. Ich nenne es Körperpraxis, aber eigentlich ist es eine Einheit von Körper, Geist, Seele, eine ganzheitliche Praxis, die mit Bewegung umgeht. Von diesem Fundament aus, etwas zusammen wachsen zu lassen und eine künstlerische Arbeit zu entwickeln, so hatte ich die Einladungen verstanden. Ich kann es mir mit meinem Ansatz auch gar nicht anders vorstellen. Mein Bedürfnis ist, erstmal eine gemeinsame Praxis vorzustellen, eine Basis zu schaffen.
IK: Das hat ja immer super gut funktioniert. Gerade auch mit den Laien. So dass alle sich gleich aufgehoben gefühlt haben. Wie gehst du das an? Man hat das Gefühl, es passiert ganz selbstverständlich.
IS: Es gibt zwei Dinge, die ich darauf antworten möchte. Das eine ist der Begriff Laie. Wir hatten ja eine sehr heterogene, kunterbunt gemischte Gruppe. Einige hatten sehr viel Erfahrung, tatsächlich auch auf der Bühne zu stehen. Andere hatten eher die Idee, das mache ich jetzt zum Spaß, ich bewege mich und tanze gern. Die Offenheit und Neugier da mitzumachen, ohne dafür bezahlt zu werden, diese Zeit zu investieren, um dabei zu sein, weil man es liebt, das ist natürlich eine tolle Voraussetzung. Nicht dass ich sagen möchte, nichts soll bezahlt werden, gar nicht, aber es ist eine starke Kraft, um einen gemeinsamen Prozess zu erleben. Insofern ist der Begriff Laie oder Amateur schwer definierbar. Und die zweite Sache ist, dass die Herangehensweise mit Somatik oder mit Zen-Praktiken die Aufmerksamkeit erstmal auf sich selbst lenkt. Denn ganz bei sich anzukommen, bildet die Voraussetzung, um miteinander zu sein. Es ist nicht umgekehrt, dass man sagt: Cool, eine Gruppe, lasst uns alle, jeder mit jedem. Mein Ansatz ist, wie ich es auch gelernt habe von anderen tollen Lehrern und Meistern, dass man wirklich erstmal zur Ruhe kommen und bei sich ankommen muss. (….)
___ Irmela Kästner, Autorin und Kuratorin, Hamburg